Das Verwaltungsgericht Gießen hat am 02.03.2018 über die Rechtmäßigkeit der Bürgerbeteiligungssatzung der Universitätsstadt Gießen entschieden. Vorausgegangen war eine Aufhebungsverfügung der Satzung durch das Regierungspräsidium, gegen die die Stadt geklagt hatte. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil die Klage abgewiesen. Das Urteil können Sie hier einsehen.
OB Grabe–Bolz zu dieser Entscheidung: „Das Ergebnis der gerichtlichen Bewertung unserer Satzung überzeugt mich nicht. Leider haben wir in der Verhandlung kein inhaltliches Argument gehört, was gegen die Rechtmäßigkeit unserer Satzung spricht. Die schriftliche Begründung haben wir noch nicht. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass der Gesetzgeber nicht verhindern will, dass wir als Stadt uns in neuen Formen und Rechten der Bürgerbeteiligung probieren können. Ich erinnere gerne daran, was Ministerpräsident Bouffier noch als zuständiger Innenminister in einer Debatte zur Reform der Gemeindeordnung 2007 gesagt hat. Ich zitiere: „Als Linie der Landesregierung bleibt festzustellen: Wir wollen nicht unnötig durch Landesgesetz binden, was die Kommunen füglich selbst mit ihrer eigenen Organisation vernünftigerweise regeln können.“ Für mich gilt das Wort des MP weiter. Und ich fordere deshalb die Landesregierung auf, gegenüber ihrer Aufsichtsbehörde klarzustellen, dass ihr Wort und ihre Linie auch weiter gilt und dieser gerichtliche Weg beendet wird. Andernfalls – und dazu stehe ich auch weiter – werden wir in die nächste Instanz gehen. Denn wir stehen zu unserem Wort: Wir wollen verbindliche, echte Transparenz und Rechte der Bürger auf Beteiligung. Wir verteidigen unseren Gießener Weg. Und wir sind sicher, dass uns die Hessische Gemeindeordnung dies auch ermöglicht. Weil wir als Städte am besten wissen, wie wir unsere Bürgerschaft am sinnvollsten an Entscheidungen beteiligen.“
Hintergrund:
Als erste und bisher einzige Stadt in Hessen hat die Universitätsstadt Gießen im September 2015 eine Satzung erlassen, die den Bürger/innen verbindliche und einklagbare Rechte zur Beteiligung am politischen Geschehen in Gießen einräumt. Unter anderem und neben allerlei Informationsrechten, zu denen die Stadt sich freiwillig selbst verpflichtet hat, wurde darin geregelt:
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dass bei wichtigen Themen und unter gewissen Voraussetzungen (Quorum) Bürger/innen ihr Anliegen direkt in der Stadtverordnetenversammlung zu Gehör bringen können (Bürgerantrag)
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dass Bürger/innen Fragen in den Ausschüssen der Stadtverordnetenversammlung stellen dürfen (Fragerecht)
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dass Bürger/innen bei ihnen wichtigen Themen unter gewissen Voraussetzungen (Quorum) eine Versammlung verlangen können, in der die Stadtpolitik ihnen zuhört und dazu Rede und Antwort steht.
Damit will die Universitätsstadt Gießen dazu beitragen, dass Bürger/innen ständig, verbindlich und transparent an Entscheidungen mitwirken können. Gießen zog u. a. mit der Verabschiedung dieser Satzung eine Konsequenz aus der Erfahrung vieler Städte, dass aus Bürgersicht genau die Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit vermisst wird.
In den beschriebenen Punkten, die der Stadt als Herzstücke ihres Bürgerbeteiligungsprojekts gelten, hat das Regierungspräsidium Gießen am 7.9.2015 die Aufhebung der Satzung verlangt. Die Behörde argumentiert, dass diese Rechte in der HGO (Hessische Gemeindeordnung) nicht vorgesehen seien. Die Stadt hat dem widersprochen und hält an ihrer Einschätzung fest, dass diese Werkzeuge zur Beteiligung mit dem Kommunalrecht vereinbar und nicht zu weitgehend sind und hat deshalb Klage erhoben.